Acht Veranstaltungsreihen zur facettenreichen Schweiz
Von der SAGW unterstützte und von ihren Mitgliedinstitutionen durchgeführte Veranstaltungsreihen
Ein provokativer Ausgangspunkt
«La Suisse n’existe pas» – unter diesem Motto des Künstlers Ben Vautier präsentierte sich der Schweizer Pavillon an der Weltausstellung von 1992 in Sevilla. Im Kontext des Vorführens nationaler Identität, als das sich das Format der Weltausstellung verstehen lässt, war diese Anspielung auf die vier Landessprachen eine provokative Setzung. Heute, mehr als zwanzig Jahre später, lässt sie eine Vielzahl weiterer Assoziationen zu und scheint aktueller denn je. Weiterhin zeichnet sich die Schweiz durch relativ starke lokale und regionale Dimensionen (Gemeinden, Ortschaften, Regionen, Kantone) einerseits und eine relativ schwache nationale Dimension andererseits aus. Hinzu kommt eine grosse Vielfalt sowohl auf sprachlicher, politischer und ökonomischer als auch auf kultureller Ebene.
Diese Beobachtungen nahm die SAGW zum Anlass, eine Veranstaltungsreihe zu lancieren, in der die vielen verschiedenen «Schweizen» zum Thema gemacht und aus unterschiedlichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven kritisch diskutiert werden.
Ein kollaboratives Projekt
Um eine vielfältige und reiche Debatte anzuregen und der zu thematisierenden Diversität Rechnung zu tragen, wurde die Veranstaltungsreihe von Beginn an in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedgesellschaften der SAGW entwickelt. Insgesamt fünfzehn Mitgliedgesellschaften der SAGW luden uns zwischen Mai 2015 und April 2016 dazu ein, die vielen Facetten der Schweiz zu entdecken, kritisch über diese nachzudenken und am Gespräch über sie teilzunehmen.
Eine Vielfalt an Perspektiven, eine Vielfalt an «Schweizen»
Im Zentrum mancher Veranstaltungen standen Fragen, die neue Blicke auf scheinbar vertraute Themen und Objekte ermöglichen. Fragen wie «Inwiefern wird die erziehungswissenschaftliche Forschung in der Schweiz durch die bestehende sprachliche und kulturelle Vielfalt geprägt?», «Welches Bild ihrer selbst erzeugt die Schweiz mittels Bauten im Ausland mitsamt dem dazugehörigen Mobiliar und den beherbergten Kunstsammlungen?» oder «Gibt es einen Schweizer Sozialstaat?». Andere Veranstaltungen beleuchteten die verschiedenen Identitätskonstruktionen der Schweiz im Lauf der Jahrhunderte. Etwa indem sie sich den nationalen Mythen an der Schwelle zum 19. Jahrhundert widmeten, oder indem sie den Helvetismus des 18. Jahrhunderts als «Laboratorium der Nation» untersuchten. Andere Mitgliedgesellschaften wiederum nahmen Phänomäne der Durchmischung und der Diversität aus ethnologischer und linguistischer Perspektiven unter die Lupe. Einbezogen wurden Praktiken der Mehrsprachigkeit oder auch der Blick von Migrantinnen und Migranten auf «die» Schweiz.
Sieben neue Veranstaltungsreihen zur facettenreichen Schweiz
Für die Jahre 2016 und 2017 wurden zwei neue Veranstaltungsreihen lanciert. Ein Zyklus befasste sich mit «Wohlfahrt und Wohlbefinden», der andere mit «Migration und Mobilität». Insgesamt fanden 26 Veranstaltungen in der deutschen Schweiz und in der Romandie statt. Auf dem Programm standen zum Beispiel eine Veranstaltung zur Standardisierung afrikanischer Sprachen in der Diaspora, eine Vortragsreihe zum Bauen im Dienst der Wohlfahrt, eine Tagung über die religiöse Musik bei Migrantengemeinschaften in der Schweiz oder eine Veranstaltung zum Wohlergehen und Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz.
Im Mai 2017 lancierte die SAGW eine vierte Veranstaltungsreihe zum Thema «Islam in der Schweiz», die sich mit der polarisierenden Debatte über den Islam befasste. Der Islam sollte in seiner ganzen Vielfalt und Bedeutung als Weltreligion mit seinen zahlreichen Ausprägungen und Reformbewegungen präsentiert werden. Ziel war es, eine informierte und sachliche Diskussion zu ermöglichen.
Gegenstand der fünften «La Suisse existe – La Suisse n’existe pas»-Reihe der SAGW war eine ebenfalls aktuelle und wichtige, wenn vielleicht auch etwas weniger sensible Thematik: Das Kulturerbe. Am 17. Mai 2017 hatten das europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union den Entscheid getroffen, 2018 offiziell zum «Europäischen Jahr des Kulturerbes» zu ernennen. Diese Initiative verfolgte das Ziel, die Diversität und den interkulturellen Dialog zu würdigen, um den erheblichen Beitrag des Kulturerbes für die Wirtschaft und die internationalen Beziehungen der Europäischen Union aufzuzeigen. Auf Vorschlag von und in Zusammenarbeit mit der Nationalen Informationsstelle zum Kulturerbe NIKE griff die SAGW die Thematik auf und lancierte im Jahr 2018 eine neue Veranstaltungsreihe unter dem Titel «Kulturerbe total». Diese war dem materiellen wie auch dem immateriellen Kulturerbe gewidmet und unterstrich die Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen ihnen. Die NIKE rief die Schweiz auf, die Schweiz zu besuchen – die SAGW schloss sich diesem Appell an und erlebte gemeinsam mit vielen Interessierten bereichernde Austauschmomente sowie schöne Entdeckungen rund um die verschiedenen Facetten des schweizerischen Kulturerbes.
Nach der erfolgreichen fünften Veranstaltungsreihe organisiert die SAGW eine sechste Reihe zum Thema «Raum – Espace», die zwischen Mai 2019 und Januar 2020 13 Veranstaltungen beinhaltete. Die dabei präsentierten Interpretationen und Perspektiven auf den Raum waren erfreulich breit: Zwölf Fachgesellschaften aus fünf Sektionen haben dazu beigetragen.
Die siebte Veranstaltungsreihe unter dem Label «La Suisse existe – La Suisse n’existe pas» befasste sich mit dem Thema «Wissensorte – Lieux de savoir» zu widmen. Im Herbst 2019 wurde ein Aufruf zur Einreichung von Projekten an die Fachgesellschaften sowie erstmals auch an die Unternehmen, Kommissionen und Kuratorien der Akademie veröffentlicht. Ziel war es, eine reichhaltige und vielfältige Reihe auf die Beine zu stellen, die die verschiedenen Facetten und Funktionen der Wissensorte, ihre gesellschaftliche Relevanz sowie Ihre Herausforderungen und neue Möglichkeiten im Zeitalter der Digitalisierung widerspiegelt. Die Ausschreibung für Projekte ist auf grosses Interesse gestossen: Von April 2020 bis Januar 2021 waren ein Dutzend Veranstaltungen geplant, die sich mit der Frage der Wissensorte aus der Sicht so unterschiedlicher Disziplinen wie Religionswissenschaft, Glaskunst, Dialektologie und Afrikastudien befassen. Leider hat die Covid-19-Pandemie das Programm durcheinandergebracht. Die meisten Veranstaltungen der Reihe wurden auf 2021 verschoben.
Trotz der nach wie vor prekären sanitären Lage wurde von der SAGW im Herbst 2020 unter dem Titel «Verantwortungsvoller(-loser) Konsum» eine achte Reihe für 2021 gestartet. Das gewählte Thema bezieht sich auf das 12. Nachhaltigkeitsziel (SDG) der UNO, das der Bundesrat in seiner Strategie für nachhaltige Entwicklung für die Umsetzung der Agenda 2030 als eine von drei prioritären Herausforderungen festgelegt hat. Die Akademie folgt dem Bundesrat, setzte «Konsum» als eines ihrer Schwerpunktthemen 2021 und wird bemüht sein, mit der wertvollen Beteiligung ihrer Mitgliedinstitutionen wesentliche Beiträge aus den verschiedenen Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften zur Thematik leisten. Die Ausschreibung ist bei den Fachgesellschaften, Kommissionen, Kuratorien und Unternehmen der SAGW wieder auf Interesse gestossen: Für 2021 sind ein Dutzend Veranstaltungen geplant. Die Akademie hofft, dass diese Veranstaltungen, wie auch die verschobenen der vorangegangenen Reihe, trotz der geltenden Einschränkungen unter zufriedenstellenden Bedingungen sowohl für die OrganisatorInnen als auch für die TeilnehmerInnen durchgeführt werden können.